Das Kanzlerinneninterview durch YouTube-Star LeFloid alias Florian Mundt macht zwar in der Offline-Welt wenig Schlagzeilen, hier im Netz tobt der Kampf um das Richtig und Falsch um so harscher. „Respekt“ rufen die einen, „Gräßlich“ tönen die anderen. Nunja, Respekt in der Tat. Respekt dafür, dass LeFloid es mit seinen YouTube Clips geschafft hat, eine riesige junge Fangemeinde an sich zu binden.
Kurz nachdem die „etablierten Medien“ das Interview in der Luft zerissen, kommt nun der Gegenschlag aus dem Netz. Vom „Neidkomplex“ ist etablierten Journalisten ist die Rede. Von „Arroganz“ und „Überheblichkeit“ der Mainstreampresse.
Dauerwerbesendung statt Interview
Der YouTube Kanal von LeFloid ist für die Bundeskanzlerin die beste Gelegenheit, endlich ein junges Millionenpublikum zu erreichen. Während ihr eigener YouTube-Kanal auf müde „paarhundert“ Klicks pro Woche kommt, hat das Interview mit Florian Mundt schon wenige Tage nach Veröffentlichung die Zwei-Millionen-Marke geknackt. Dafür Respekt! Aber nicht an LeFloid, sondern an die Kanzlerin. Einen besseren „Sendeplatz“ hätte sie sich gar nicht wünschen können, um ihre Sicht der Dinge ungefiltert unters künftige Wählervolk zu bringen.
LeFloid verkommt in seiner Rolle als Interviewer zum puren Statisten. Brav ratterte er die Fragen runter, die er sich zuvor von der jungen Fanschar eingeholt hatte. Kritisches hinterfragen? Fehlanzeige. Es war eher ein gemütlicher Smalltalk. So dauert es auch nur wenige Minuten, da überimmt die Kanzlerin die Gesprächsführung. „Darf ich dazu noch was sagen?“, unterbricht sie LeFloid schon in der dritten Minute. Der antwortet sofort mit „aber sicher“ und gibt damit die Gesprächsführung ab.
Zugegeben, es gibt so ein paar Momente, in denen Hoffnung aufkeimt. Kritisch bemerkte Mundt den im Netz oft auffällig ungebremst geäußerten Hass. Sei es gegen Schwule, Ausländer oder aktuell wegen der Griechenlandkrise. Was denn die Kanzlerin dazu sage. Nun, was sagt die Kanzlerin wohl? Das, was wohl jeder normal denkende Mensch antworten würde. „Ja, das bereitet mir Sorge“ und „Schließlich haben wir noch ein Grundgesetz“. Soweit so selbstverständlich.
Mundt beantwortet seine nächste Frage an die Kanzlerin schonmal selbst und schiebt an die Kanzlerin gerichtet nach, ob sie das mit dem verharmlosen von Rassismus im Netz aber auch in der Presse nicht ähnlich problematisch sehe wie er selsbt. Etwa dann, wenn ein pöbelnder Mob vor einem Flüchtlingsheim verharmlosend als „Asylgegner“ bezeichnet würde. „Natürlich“, antwortet Merkel. „Da sind wir uns tatsächlich sehr sehr einig“, bemerkt LeFloid. Was für eine gräßliche Harmonie.
Chancen verspielt
Spätestens hier wäre Gelegenheit gewesen, mal zu hinterfragen, ob nicht auch ein gewisses deutsches Boulevardblatt maßgeblich mitverantwortlich ist für die vergiftete Stimmung im Land. Stichwort Griechenland.
Ein Blatt, dass wochenlang unerträgliche Hetze betreibt und von der Politik dennoch heiß umschwärmt wird. Zeit, mal etwas unbequemer zu werden: „Frau Merkel, wie halten Sie es denn mit der BILD-Zeitung? Hat der Axel Springer Verlag mit seiner Griechen-Hetze ihre eigene Politik nicht wunderbar unterstützt? Können Sie da morgens noch in den Spiegel schauen“ – LeFloid ist doch sonst für seine frechen Sprüche bekannt. Warum ist er jetzt so zahm?
Nächstes Thema: NSA Spähaffäre. Mundt spricht die Kanzlerin auf die jüngsten Veröffentlichungen über Abhöraktionen gegen das Kanzleramt an und ob sie Snowden heute in einem anderen Licht sieht. Zugegeben: schöne Fragen von LeFloid, aber die Kanzlerin läßt ihn auflaufen. Antwort Merkel (vereinfacht) „Nö, warum“. Ob sie anders reagiert hätte, wenn Snowden ein russischer Whistleblower gewesen sei? Antwort Merkel (vereinfacht) „Nö, warum“.
Die Bundeskanzlerin spielt die Frage umgehend zurück: „Scheint schwieriger zu sein, in Russland Whisteblower zu sein. Gibt’s da welche?“ Mundt will antworten, die Kanzlerin unterbricht „Kennen Sie welche?“ Zack, der Florian ist „Mundt“-Tot.
Hier hätte LeFloid dranbleiben sollen. Wenigstens ein „Sie antworten ‚warum‘, Na weil die partnerschaftlichen Beziehungen Deutschlands zu den USA ungleich höher sind als zu Russland. Wollen Sie wirklich behaupten, ein Whistleblower über umfassende Abhöraktivitäten des KGB wäre in Deutschland genauso unwillkommen gewesen wie Snowden? Arbeitet der BND etwa auch mit den Russen so eng zusammen?“
LeFloid-Fans wollen die Kritik nicht hören: PR? Na und?
Neid! Arroganz! Überheblichkeit! Mit diesen Worten wird die Kritik an den Interviewschwächen vom Tisch gewischt. Aber es kommt noch schlimmer. Viele geben gleich zu, dass das Interview keines war und finden es trotzem gut:
LeFloid ist kein Investigativ-Journalist und will das auch gar nicht sein. Also hört auf, so zu tun, als würde euch jemand die Butter vom Mittagspausenbrot stehlen wollen, der sich nicht mal in derselben Kantine befindet. Quelle: Lisa Ludwig/vice.com
Über die Interviewqualitäten im Profijournalismus läßt sich trefflich streiten. „Invstigativ-Journalist“ muss man für ein gutes Merkel-Interview auch gar nicht sein, gut vorbereitet schon.
LeFloid ist kein Kind mehr. Auch wenn seine Zielgruppe auf YouTube offenbar Teenies anspricht, Florian Mundt ist keine 18 mehr, sondern 27 Jahre alt. Er hat ein Millionenpublikum hinter sich versammelt. Da darf man schon etwas mehr Professionalität erhoffen. Wer sich mit der Kanzlerin in einen Raum begibt und einem Millionenpublikum zu verstehen gibt, hier deren brennende Fragen ansprechen zu wollen, der trägt auch eine gewisse mediale Verantwortung. Von seiner sonstigen Art war bei Angela Merkel allerdings nichts mehr zu spüren.
„Action News, aber Hart“ sind seine Clips sonst betitelt. Bei Frau Merkel kam er mir eher wie ein Kanzleramts-Praktikant vor.
„Hey er ist schließlich kein Journalist, was erwartet ihr“. Was ich erwarte?
Ich setze mich auch nicht ans Steuer eines vollbesetzen Airbus A380 und erwarte Respekt, wenn ich trotzdem schon den Start vergeige: „Hey, er war schließlich kein Pilot, was erwartet ihr. Respekt, dass erst versucht hat!“
Wo bleibt die Medienkompetenz?
Was sich hier offenbahrt ist einmal mehr das völlige Fehlen von Medienkompetenz einer ganzen Generation. Was hat man die „Digital Natives“ dafür gelobt, wie sicher und selbstverständlich sie mit den „neuen Medien „umgehen. Wie sie ihre Smartphones und Tablets bedienen und sich in Angela Merkels „Neuland“ mit einer Leichtigkeit bewegen, als sei es der Gang zum Klo.
Irgendwie ist es leider ein Griff ins Klo.
Mit einer Technik und einem Medium umzugehen, heißt noch lange nicht, es zu verstehen, zu beherrschen, zu hinterfragen. Wer macht hier PR? Wer verheizt hier wen? Wer bekommt hier eine kostenlose halbe Werbestunde? Wird das von den LeFloid-Fans einfach so geschluckt? Cool, dass er die Kanzlerin interviewen durfte? DAS WAR DAS ZIEL? Dafür haben unzählige Teilnehmer vorher ihre Fragen über das Hashtag „#NetzFragtMerkel“ übermitteln dürfen?
Wir leben in einer Zeit, in der wir theoretisch jede Meldung, jede Aussage und jede Meinung sofort intensiv auf ihre Wahrheitsgehalt überprüfen könnten. Wir haben die Antworten auf all unsere Fragen quasi nur ein paar Klicks entfernt. Wir haben die Möglichkeit zu lernen und zu erkennen was Mist ist, was Werbung, was Wahrheit, was Objektiv, was Suggestiv. Und trotzdem lassen wir uns massenhaft verarschen.
Wie damals beim Fernsehen konsumieren wir den uns auf Facebook oder Twitter vorgesetzten Inhalt: Teilen, Liken oder Retweeten.
Headline, Foto, Untertitel, Klick. Nächstes Thema. Dafür reicht der Finger. Das Gehirn bleibt im Stand-By-Modus.
Anders läßt sich auch nicht erklären, dass unzählige Fakemeldungen – so genannte Hoaxes – obwohl manchmal Jahrzehnte alt und damals noch per E-Mail transportiert, heute auf Facebook ein Revival erleben. Klicke hier und Microsoft spendet Geld an die Krebsforschung. Unfassbar, Archäologen entdecken gigantisches Skelett. Waren Aliens unter uns? Die 11 goldenen Lebensweisheiten, die Bill Gates kürzlich auf einer Highschool von sich gab.
ALLES MÜLL. TAUSENDFACH GETEILT.
Wenn es diejenigen, die mit dem „Neuland“ erst umgehen lernen müssen es nicht schaffen, okay. Aber die Digital Natives? Verdammt, ihr seid mit dem Netz aufgewachsen. Ihr kennt das gar nicht anders. Dann nutzt gefälligst auch seine Möglichkeiten.
Stichwort: Medienkompetenz.
Nein, es war eben nich toll, was da mit LeFloid passiert ist. Er hat sich für einen gigantischen PR-Coup des Kanzlersamts vereinnahmen lassen. Einfach so. Er hat Angela Merkel seine hart erarbeiteten Follower auf dem Silbertablett serviert. Sie kam, sprach, siegte.
Spiel, Satz und Sieg: Angie.
Dafür Respekt? Dann seid ihr Digital Naives.