Geht es nach der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ), so könnte man meinen, Schulen in NRW würden derzeit von vollverschleierten Frauen mit Burka überrannt. Seit mehreren Tagen berichtet die WAZ nun über zwei Schulen aus Düsseldorf und Essen, die ein „Burka-Verbot“ erlassen haben. Letzere aber bereits vor einem Jahr. Zahllose Menschen, von der Schulleiterin über Gewerkschaftler und Politiker bis zur Feministin kommen zu Wort. Was aber fehlt sind die ganzen Burka-Trägerinnen. Denn die gibt es offenbar kaum bis gar nicht. Die WAZ nennt kein einziges Beispiel. Sogar die Düsseldorfer Schule sagt, es habe für ihr Verbot „keinen konkreten Anlass“ gegeben.
Geschmückt mit schönen Symbolfotos vollverschleierter Frauen entsteht durch das mediale Dauerfeuer über die Tage der Eindruck, immer mehr Schulen müssten sich gegen integrationsunwillige Muslime zur Wehr setzen. Die WAZ (und mittlerweile auch weitere Medien: KSTA, WELT, BILD u.a.) generieren eine öffentliche Debatte, die es ohne sie gar nicht gegeben hätte. So sichert man sich tagelang Stoff für weitere Artikel.
Ein journalistisches Perpetuum Mobile. Wenn man keine Nachrichten hat, so macht man sich halt selber welche.
Angefangen hatte alles mit einem Bericht der Rheinischen Post aus Düsseldorf vom 20. Oktober 2015. Die Adolf-Klarenbach-Schule im Düsseldorfer Stadtteil Holthausen verbot das Tragen der Nikab und Burka. Die Zeitung betont, dass bereits zwei Drittel der Schüler aus Migrantenfamilien stammten. Zitiert wird dabei die Schulleiterin Susanne Hartwig, die ihren Schritt mit der Möglichkeit der „offenen Kommunikation“ begründete. Soweit so gut. Interessant wird es dann aber am Schluss des Gesprächs. So zitiert die Rheinische Post die Schulleiterin:
Einen konkreten Anlass für den Passus mit dem Schleier habe es nicht gegeben, sagt sie.
Aha. Einen konkreten Anlass gab es nicht. Oder anders formuliert: Es kam offenbar kaum jemand mit Nikab oder Burka zur Schule.
Während die Rheinische Post ihren Beitrag noch mit einem Foto vom Schulhof der Grundschule aufmacht, gehen die WAZ und ihre zugehörigen Online-Portale von Anfang an einen anderen Weg: Hier werden Symbolfotos von vollverschleiterten Frauen unter die Überschrift gesetzt. Das wirkt natürlich gleich viel dramatischer. Wenn sie dann auch noch aufgereiht dastehen, noch viel mehr.
In den Diskussionsforen entwickelt sich allenorts natürlich sofort eine hitzige Diskussion. Und bestätigt die Wirkung einer solchen Berichterstattung: Bei den Kommentatoren ist offenbar der Eindruck entstanden, immer mehr Muslime würden wie selbstverständlich vollverschleiert in den Schulen erscheinen. Warum sonst sollte eine Schule ein solches Verbot erlassen? Dass es „keinen konkreten Anlass“ gab, wie selbst die Schulleiterin zugab, interessiert die Wenigsten. Dabei hätte die Schule genauso gut auch verbieten können, nackt auf dem Schulgelände zu erscheinen. Kommt vermutlich auch selten vor, dürfte den Stammtisch aber weniger erregen und ist schlecht für die Auflage.
Der WAZ ist dieser eine Beitrag nicht genug. In den kommenden Tagen sorgt sie dafür, dass das Thema Schule und Burka am köcheln bleibt. Immer garniert mit schönen Symbolfotos vollverschleierter Frauen. Auch andere Zeitungen springen auf den Zug auf. Das Thema gewinnt an Fahrt. Der Lehrerverband kommt zu Wort und auch Alice Schwarzer, leidenschaftliche vollverschleierungs Gegnerin, wird zitiert. Der Tenor ist natürlich immer der Gleiche: Vollverschleitert an deutschen Schulen? Das geht gar nicht!
Mag ja sein.
Aber auch am Folgetag bleibt die WAZ die große Frage schuldig: Wie oft ist das denn nun an den Schulen wirklich vorgekommen?
Während in den Leserkommentaren wieder vom Niedergang des Abendlandes zu lesen ist und sich Angst verbreitet, die Frauen könnten mit ihrem Schleier böse Terroranschläge verüben, fragt man sich: Wo sind sie denn jetzt diese ganzen finsteren Talibanmuttis, die ihre Kinder vollverschleiert zur Schule bringen oder abholen?
Steter Tropfen höhlt den Stein.
Am dritten Tag kramt die WAZ die Story einer Essener-Schule aus Essen den Archiven hervor, die das Burka-Verbot bereits vor einem Jahr erlassen hatte und dieses seitem „standhaft“ aufrecht erhält.
Und weil es so schön passt, wird diese uralte Geschichte wieder aufgewärmt und mit einer schmissigen Überschrift und – natürlich – dem üblichen Symbolfoto garniert.
Moment mal, „standhaft“?
Wird die Schule von Horden vollverschleierter Frauen überrannt, gegen die sich die Schule jetzt schon 365 Tage erfolgreich wehrt? Im Text kein Wort dazu. Dennoch mangelt es nicht an markigen Worten.
Seit einem Jahr setzt eine Essener Rektorin das Burka-Verbot an ihrer Schule durch. Sie kämpft für republikanische Werte und Frauenrechte. Quelle: WAZ
Aber gegen wen kämpft die Frau denn eigentlich die ganze Zeit so tapfer? Alles bleibt in der Theorie. Da wird wieder von der Wichtigkeit einer offenen Kommunikation gesprochen und dass eine verschleierte Frau nun nicht mehr auf das Schulgelände käme. Zu den tatsächlichen Vorkommnissen schweigt sich das Blatt aber aus. Dabei drängen sich doch diese Fragen geradezu auf.
- Welche konrekten Probleme hatten die Schulen denn bereits mit Vollverschleierung gehabt?
- Hat man versucht, mit den Menschen zu sprechen, sie zu überzeugen dies auf dem Schulgelände künftig zu unterlassen?
- Haben sich Frauen geweigert, so dass man zu dieser Verbotsmaßnahme greifen musste?
Ach stimmt. Zumindest in Düsseldorf gab es ja laut Schulleitung „keinen konkreten Anlass“.
Und in Essen? Auch hier kein einziges Wort dazu. Kein Beispiel, keine Zahlen, Daten, Fakten. Nichts.
Gibt es nur einen einzigen Fall?
Der Westdeutsche Rundfunk ist gründlicher und findet eine(!) verschleierte Mutter, die nun halt vor dem Schulgebäude auf ihr Kind wartet, weil Sie ihren Schleier nicht abnehmen möchte. Eine Mutter? Eine einzige sture Mutter? Von einer einzigen Person (vielleicht sogar dieselbe?) schreibt auch einen Tag später die Rheinische Post. Man holt sich sogar ein Statement von ihr ein.
„Das ist nicht in Ordnung“, sagt die 35-Jährige, die sich Aysche nennt. Quelle: RP
…sagt die 35-jährige die sich Aysche nennt?
Seltsame Tonalität. Also wenn die Rheinische Post der Frau trotz Vollverschleierung das Alter abkauft, warum nicht auch ihren Namen? Warum dieses nebulöse „…die sich Aysche nennt“?
Ist es neuerdings Usus, dass man Interviewpartnern den Namen nicht glaubt?
Unsauberer Journalismus
Natürlich nicht, aber durch das „…die sich Aysche nennt“ unterstreicht man gegenüber der Frau ein Misstrauen. Er verdeutlicht die Möglichkeit, einer Lügnerin gegenüber zu stehen. Sind Burka-Trägerinnen also automatisch Lügnerinnen? Wäre interessant, mal die Länge der Nase der Autoren des Beitrags (gleich vier werden genannt) nachzumessen.
Was wäre denn ohne Burka gewesen? Hätten die Autoren ihr den Namen dann eher geglaubt? Das Alter kann man einer Person vielleicht noch ansehen, aber den Namen in keinem Fall.
Aber natürlich klingt „…sagt die angeblich 35-Jährige Aysche“ irgendwie bescheuert.
Mit Journalismus hat das alles wenig zu tun. In der Öffentlichkeit wird durch diese Nicht-Nachricht der Eindruck erzeugt, es bestünde ein aktues Problem. Die Empörungsmaschinerie läuft an. Ein Diskussionsthema ist geboren. Doch die Debatte ist nicht auf „natürlichem“ Wege entstanden, die Medien haben es forciert und können das Thema fortan über mehere Tage zur Schlagzeile machen: Halbgare Geschichten, tendenziöse Wortwahl und dramatisierende Symbolfotos.
Belege für ein tatsächlich so großes Problem, wie dabei jeden Tag aufs neue suggeriert wird, bleiben sie aber allesamt schuldig.
Und am Ende fragen wieder alle ganz unschuldig, woher bloß dieser ganze Hass kommt.