Liest man die Schlagzeilen der vergangenen Tage könnte man meinen, Roland Emmerichs Katastrophenstreifen „The Day After Tomorrow“ wird Wirklichkeit. Ein „Monstersturm“ (Berliner Morgenpost) rase auf die Ostküste der USA zu, „50 Millionen Amerikaner bedroht“, titelt die Süddeutsche. Über Tage hinweg beherrschen immer neuen Katastrophenszenarien die Schlagzeilen. Von meterhohen Tsunamiwellen ist die Rede, von einem drohenden Supersturm über Land. Spiegel Online schrieb sogar vom „Hurrikan höchster Kategorie“. Dabei ist „Sandy“, so der Name des angeblichen Ungetüms, gerade mal Tropensturm-Größe entwachsen und mit Kategorie 1 auf der untersten Stufe der Hurrikan-Skala.
Sicher, Spitzengeschwindigkeiten von bis zu 140 km/h sind eine ziemlich steife Brise, aber nichts was einen orkanerprobten Ostfriesen aus den Gummistiefeln haut – und vor allem nichts, was noch nie dagewesen ist. Es wird sicherlich Überschwemmungen und Schäden geben, aber den herbei geschriebenen Untergang der amerikanischen Ostküste werden wir glücklicherweise wohl kaum erleben.
Das National Hurricane Center beschreibt Sandy am Montag noch mit Spitzengeschwindigkeiten von rund 136 km/h und damit Hurrikanstufe 1. Was Spiegel Online dennoch veranlasste, vom Sturm der höchsten Kategorie zu sprechen? Es ist wohl der Phantasie der Autoren entsprungen. Später korrigierte sich das Nachrichtenmagazin und schrieb korrekt:
„Sandy“ wurde bisher von den Meteorologen als Hurrikan der Kategorie 1 eingestuft, das bedeutet Windgeschwindigkeiten von bis zu 150 km/h.
Aber das wäre ja keine Sensationsmeldung mehr wert. Um von der ursprünglichen Behauptung nicht ganz abzurücken heisst es weiter
Jedoch fürchten die Experten, dass in seinem Zentrum Windgeschwindigkeiten von bis zu 280 Kilometern pro Stunde erreicht werden könnten.
Doch welche Experten sind das?
Auf der Webseite des National Hurricane Centers sagen die Meteorologen bei Landgang des Hurrikans nur noch zu rund 30-35% eine Wahrscheinlichkeit des Erreichens der vollen Hurrikanstärke in Bodennähe voraus. Eher würde das Land mit Geschwindigkeiten um die 93 km/h getroffen, im Landesinneren dann mit stark abnehmende Tendenz.
Mal ein Vergleich: Orkan Kyrill, der im Januar 2007 über Europa hinwegfegte, erreichte über Land teilweise Spitzengeschwindigkeiten von bis zu 200 km/h. Hurrikan Kathrina, der im Jahre 2005 New Orleans verwüstete kam sogar auf bis zu 280 km/h. Kein Vergleich also zu Sandy, die sicherlich ziemlich stürmisch und ungemütlich werden wird, aber noch längst nicht das Label „Super-“ oder „Monstersturm“ verdient. Auch auf den Satellitenbildern wirkt Sandy längst nicht so bedrohlich, wie es Kathrina einst tat.
Offenbar brauchen wir aber diese Superlative, um die recht austauschbaren Newsangebote gerade im Internet überhaupt noch wahr zu nehmen. Man überschlägt sich mit immer neuen Gigantismen, die Fakten bleiben dabei auf der Strecke. Da wird mehr medialer Wind produziert, als es Sandy je könnte.