Sandy entzaubert: Historie schwerer Hurrikane an der Ostküste der USA

Es war nur eine Frage der Zeit, bis nach dem anhaltenden Katastrophen-Journalismus nun auch wieder der Klimawandel für Hurrikan Sandy herhalten muss. In der Tat, die Bilder der Zerstörung in den USA mögen erschreckend sein. Besonders deshalb, da wir seit Tagen mit ihnen auf allen medialen Kanälen konfrontiert werden. Dennoch: Sandy war überhaupt kein besonders starker Hurrikan. Im Gegenteil. Schaut man in die Historie der größten Hurrikane der letzten 100 Jahre die die amerikanische Ostküste trafen, so wäre Sandy gemessen an ihrer Stärke nicht mal eine Erwähnung wert.

Zunächst einmal: Das Ausmaß der Schäden allein ist kein Beleg für die Stärke eines Sturms. Wäre Sandy auf dünn besiedeltes Gebiet gestoßen oder hätte „nur“ eine Karibikinsel getroffen, so wäre das unseren Medien vielleicht eine Randnotiz wert gewesen. Dummerweise traf Sandy aber auf relativ dicht besiedeltes Gebiet und sogar Millionenstädte wie New York oder Atlantic City. Da braucht es keinen besonders großen Hurrikan um besonders große Schäden anzurichten. Wo viele Menschen leben, geht eben auch viel kaputt. Wird uns das dann tagelang in Bild und Ton um die Ohren genauen, mag in der Tat der Eindruck entstehen, hier hätte ein Monstersturm gewütet.

Dabei ist die Infrastruktur gerade in den USA solchen Wetterlagen oft nicht gewachsen: Die leichte Holzbauweise vieler Wohnungen der Küstenstädte und die in vielen Gegenden noch überirdisch verlaufenden Telefon- und Stromleitungen machen es einem Unwetter besonders leicht, das öffentliche Leben zum Erliegen zu bringen. Wenn dann noch umfangreiche Küstenschutzmaßnamen wie ausreichend hohe Deiche fehlen, sind auch großflächige Überflutungen kaum überraschend.

War Sandy ungewöhnlich?

In der Tat kommt es nicht sehr häufig vor, dass sich ein Wirbelsturm Richtung amerikanische Ostküste verirrt und dann auch noch das Land trifft. Meist verpuffen diese Stürme irgendwann über dem Atlantik oder drehen vorher ab. Doch man braucht sich nur auf der Homepage des National Hurricane Center umsehen und dort ein wenig in den Archiven stöbern: Man findet eine recht detaillierte Auflistung aller Hurrikane ab Stufe 3, die in den vergangenen 100 Jahren Kurs auf die nordamerikanische Ostküste hielten. Wohlgemerkt: Ab Stufe 3! Hurrikane in „Sandy-Stärke“ sind diesem Archiv nicht mal eine Erwähnung wert.

Hurrikane über dem US-Festland 1851-2004

Diese Grafik zeigt die Anzahl von Hurrikanen der Stärke 1-5 die pro Dekade das US-Festland (nicht nur die Ostküste) erreichten. Datenquelle: NOOA

Und in der Tat: Im vergangenen Jahrzehnt findet sich dort kein einziger nennenswerter Kandidat, der der US-Ostküste gefährlich wurde. Die letzten großen Hurrikane waren „Fran“ (1996) und Hurrikan „Emily“ (1993). Beide Stärke 3 und damit um einiges bedrohlicher als Sandy. Während Emily noch kurz vor Landgang abdrehte und somit „nur“ drei Tote und rund 50 Millionen US-Dollar Schäden anrichtete, kamen bei Fran 27 Menschen ums Leben, die Schäden beliefen sich auf rund 3,2 Milliarden US-Dollar. Wirklich katastrophal war zuletzt aber Hurrikan „Hugo“ der 1989 die US-Ostküste traf, über 100 Menschen das Leben kostete und dabei rund 10 Milliarden US-Dollar Schaden anrichtete.

Die 1950er Jahre: Eine Hurrikan-Jahrzent für die US-Ostküste

Richtig schlimme Hurrikan-Zeiten findet man in der Vergangenheit: Die 1950er Jahre waren für die US-Ostküste ein stürmisches Zeitalter, wie die folgende Grafik zeigt:

Hurrikane 1951-1960 Stärke 3-5

Hurrikane 1951-1960 Stärke 3-5. Anklicken für große Version. Bild: © National Hurricane Center

Der tödlichste war wohl 1954 Hurrikan „Hazel„. Auf seinem Weg tötete der Sturm der Kategorie 5 über 1000 Menschen in Haiti. Doch auch in den USA fielen dem Hurrikan immer noch knapp 100 Menschen zum Opfer. Die Gesamtschäden wurden mit rund 420 Millionen US-Dollar beziffert.

1955: Eine Hurrikantrilogie

1955, nur ein Jahr später, trafen gleich drei Hurrikane hintereinander auf die US-Ostküste: Besonders in North-Carolina sorgten die Stürme „Connie„, „Diane“ und „Ione“ für schwere Überschwemmungen und forderten insgesamt rund 240 Menschenleben.

1960: Hurrikan „Donna“ bleibt hartnäckig

Große Ausdauer zeigte 1960 der Hurrikan „Donna„. Er gilt bis heute als einer der Hurrikane, der seine Stärke am längsten aufrecht erhalten konnte. Der Sturm wütete 17 Tage lang vom 29. August bis 14. September 1960 und hinterließ von den karibischen Inseln Kuba oder Hispaniola (Haiti/Dominikanische Republik) bis zum südlichen Quebec in Kanada eine Spur der Verwüstung. Teilweise erreichte der Sturm eine Stärke der Kategorie 5. Noch in Long Island hatte er Hurrikanstärke 1. Donna forderte nach ungenauen Schätzungen bis zu 370 Menschenleben und verursachte rund 900  Millionen US-Dollar Schaden.

Historical Record of New Englands Stricken Area (1938)

Hurrikane waren schon immer auch mediale Ereignisse. So wurden in den USA nach dem Sturm regelmäßig Bildbände der Zerstörung herausgegeben. Hier das Cover des 1938 erschienenen Buchs „Historical Record of New Englands Stricken Area“, welches rund 700 Aufnahmen der Verwüstungen zeigt. Eine Übersicht weiterer Bücher dieser Art findet sich unter www.westislandweather.com.

1890er Jahre: Schwere Zeiten für die US-Ostküste

Auch vor rund 120 Jahren war die Ostküste der USA nicht vor schweren Stürmen gefeit. Besonders stürmisch ging es in den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts zu. Vier große Hurrikane trafen die Küste vom US-Bundesstaat Georgia und weiter nördlich. Darunter 1893 der Kategorie 3 „Sea Islands Hurrikan“ in Georgia und South Carolina, im selben Jahr ein weiterer Kategorie 3 Hurrikan der South- und North-Carolina traf sowie 1898 ein Kategorie 4 Hurrikan wieder in Georgia und ein Jahr später, 1899, ein Kategorie 3 Hurrikan in North-Carolina. Diese Dekade war für die Ostküste der Vereinigten Staaten die zweit schwerste seit regelmäßiger Wetteraufzeichnungen und wurde nur von dem Sturmjahrzehnt der 1950er Jahre übertroffen.

Hurrikane als Schrecken der europäischen Kolonialisten

Schon vor vielen Jahrhunderten fielen ganze Armeen der europäischen Kolonialisten den atlantischen Hurrikanen zum Opfer. So verloren die Franzosen die Oberhand vor der amerikanischen Ostküste, als 1565 ein Hurrikan ihre gesamte Flotte versenkte. Für die Spanier ein Glücksfall, konnten diese dank des Sturms anschließend das französische Fort Caroline nahe dem heutigen Jacksonville einnehmen. 1640 zerstörte ein großer Hurrikan große Teile der niederländischen Flotte auf ihrem Weg nach Havanna. 1666 verlor der britische Gouverneur von Barbados, Lord Willoughby, bei einem Hurrikan siebzehn seiner Schiffe und 2000 seiner Soldaten.

Spanische Sodaten attackieren Fort Caroline während eines Hurrikans

Spanische Soldaten attackieren 1565 Fort Caroline während eines Hurrikans. Bild: BIRNEY LETTICK/National Geographic Stock

Sandy entzaubert

Ruft man sich diese Ereignisse in Erinnerung dann kommt einem Hurrikan Sandy, der lediglich mit Tropensturm-Stärke das Land traf, doch recht klein und unwichtig vor. Richtig ist aber, dass der Mensch in den vergangenen Jahrzehnten auf immer größerem Gebiet siedelt und lebt. Häuser und Straßen baut und sich prächtig vermehrt. So ist es kein Wunder, dass mit ansteigender Bevölkerung und gewachsener Infrastruktur auch kleinere Stürme immer größeren Schaden anrichten können.

"Great Miami Hurricane" von 1926 - Wieviel Schaden er wohl heute anrichten würde?

Fortschreitende Urbanisierung am Beispiel „Great Miami Hurricane“ von 1926: Wieviel Schaden er am Miami Beach wohl heute anrichten würde?

So ist Sandy eher ein Beleg für die Probleme einer fortschreitenden Urbanisierung der Landschaft unter Vernachlässigung ausreichender Sicherheitsvorkehrungen um die Bevölkerung vor solchen Naturkatastrophen wenigstens einigermaßen zu schützen. Ein Beweis für einen ungewöhlichen Klimawandel ist Sandy auf keinen Fall.

 

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