Spiel nicht mit den Schmuddelkindern…

Am Dienstagmorgen hielt Wikileaks Gründer Julian Assange per Videoschalte aus England eine Rede auf der Berliner Medienwoche. Das Whistleblower-Portal steht unter heftigem Beschuss, seitdem durch eine Nachlässigkeit tausende Dokumente samt Informantenangaben in Umlauf gerieten. Der Fernsehsender N24 schaltete die Satellitenverbindung und präsentierte die Rede und das nachfolgende Interview „exklusiv“. Anwesenden Zuschauern in Berlin waren Ton- und Videoaufnahmen daher verboten. Doch in seiner Nachberichterstattung schiebt N24 das Aufnahmeverbot lieber Assange in die Schuhe.

So schreibt N24:

 Und Assange diktiert die Bedingungen: Er liest vom Blatt ab und stellt sich einigen Fragen einer moderierenden Journalistin, nicht aber des Publikums. Video- und Tonaufnahmen lässt er verbieten. Wer ihm zuhören will, der muss sein Handy ausschalten.

Ist die wahre Ursache für das Aufnahmeverbot aber nicht viel eher darin begründet, dass N24 die Satellitenschaltung realisierte und auch die Exklusivrechte der Übertragung sowie des folgenden Interviews innehatte? Klingt zumindest viel logischer, als dass Assange selbst plötzlich Medienscheu geworden sein soll. Noch dazu während eines Interviews. Warum also so tendenziös, n24?

Fakt ist: Julian Assange spaltet die Gemüter. Während die einen in ihm einen Verfechter für Informationsfreiheit und Aufdecker dunkler Machenschaften aus Wirtschaft und Politik sehen, halten ihn die anderen schlichtweg für einen Denunzianten. So abschätzig jedenfalls äußerte sich am Dienstagmorgen ein Radiohörer im WDR-5 Tagesgespräch zum Thema Wikileaks.

Kurze Zeit später erinnerte ein anderer Anrufer daran, was „Denunziantentum“ denn wirklich bedeute: Denunzianten sind nicht diejenigen, die üble Machenschaften aufdecken und anprangern, sondern Leute, die – meist in der Hoffnung eigene Vorteile zu erzielen – unliebsame Mitmenschen an Behören oder Regierungen auslieferten. Auch in den Kommentaren unter dem N24-Beitrag dauerte es nicht lange, bis der erste Schreiber „Denunziant“ schrie.

Aber vielleicht kommt das negative Bild, das viele von Wikileaks haben, auch aus den Medien selbst. Fest steht: Julian Assange hat sich keine Freunde gemacht, als er die schrittweise Veröffentlichung tausender geheimer US-Diplomatendepeschen nur mit einer handvoll ausgesuchter Journalisten, darunter vom deutschen Spiegel, dem britischen Guardian und der amerikanischen New York Times realisierte. Den Medienpartnern bescherte dies ungeahnte Nachfrage und Quote. Alle anderen allerdings gingen leer aus, was sich nicht selten auch auf die Art der Berichterstattung über Wikileaks auswirkte. Dass Assange jetzt selbst einer Datenpanne zum Opfer fiel, sei es aus eigener Nachlässigkeit oder der Unzuverlässigkeit seiner Partner, ist für seine Feinde jetzt ein gefundenes Fressen.

Man kann Assange vieles vorwerfen. Egoismus, Geltungssucht, Eitelkeit: Es ändert aber nichts an der Tatsache, dass Wikileaks schon lange vor den US-Depeschen, schon lange vor der Veröffentlichung geheimer Videos aus Afghanistan oder dem Irak, welche u.a. die brutale Ermordung von Zivilisten durch US-Streitkräfte belegten, eine wichtige Plattform war um all diejenigen Ungereimtheiten und Machenschaften aus Wirtschaft und Politik ans Tageslicht zu bringen, die unsere Presse schon längst nicht mehr interessierte. Es wäre schön wenn diese Plattform wieder zu ihren Ursprüngen zurück finden würde. Vielleicht braucht es dafür auch neue Gesichter jenseits von Assange oder dem Aussteiger und Selbstvermarkter Domscheidt-Berg.

Was mich aber nachdenklich stimmt: Vor allem in Deutschland scheint es mir so, als seien die Schmuddelkinder in den Augen vieler nicht etwa diejenigen, die schmuddeliges tun, sondern diejenigen die schmuddeliges anprangern. Verkehrte Welt.

 

 

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