Die sonnigen Pfingsttage hatte ich für einen kurzen Ausflug in meine alte Heimat Ostfriesland genutzt. Da wollte ich mir natürlich auch nicht die Gelegenheit entgehen lassen, einmal einen Blick in den „Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer“, immerhin ein „UNESCO Weltnaturerbe“ anzusehen. Doch statt bunter Tierwelt, üppigen Salzwiesen und wildem Brutgezwitscher gabs kurzgemähten Rasen, Lenkdrachen, Parkplätze und Windparks. Mein Fazit: Der Nationalpark ist ein schlechter Witz, der den UNESCO Titel nicht verdient.
Es fängt schon mit der Beschilderung an. Eine Eule hockt auf dem Nationalparkschild zum dahinter liegenden Wattenmeer. Hier waren echte Schildbürger am Werk. Warum das blaue Blech nicht gleich mit einem Elefanten bedrucken? Dem wird man hier am Deich wohl genauso häufig begegnen. Oder handelt es sich vielleicht um eine neue, bislang unentdeckte Tierart? Ist hier die sagenumwobene ostfriesische Watteule zuhause?!
Wo andernorts hinter dem Nationalparkschild unberührte Natur beginnt, geht es in Dornumersiel erstmal mit einem großen Parkplatz los. Aber die Touristen ficht das offenbar nicht an. Sie finden es sogar toll, zwischen all den Autos auf ihren Sonnenliegen zu sitzen und Drachen steigen zu lassen. Man fragt sich, aus welchen Betonsilos diese Menschen entflohen sind, dass sie auf einem Autoparkplatz bereits derartige Entspannung finden. Man hätte das Schild auch in „Nationalparkplatz“ umbenennen können.
Rechts neben dem Parkplatz ist immer noch nichts mit wilder Flora und Fauna. Dieser wunderschöne kurzgmähte Rasen gehörte früher mal in die Schutzzone des Nationapark. Aber statt Wildtiere soll er jetzt die Urlauber schützen, damit diese direkt am Deichvorland ungestört ihre Lenkdrachen in die Höhe steigen lassen können. Das finden die Zugvögel bestimmt klasse, wenn in unmittelbarer Nähe ihrer ursprünglichen Brut- und Rastplätze die großen Flatterdinger auftauchen.
So verwundert es auch nicht, dass sich im Deichvorland nur ein einsamer Kiebitz verirrt hat. Vor 25 Jahren steppte hier noch der Bär, also im übertragenen Sinne. Doch heute herrscht hier gähnende Leere. Eigentlich seltsam, ist doch der Nationalpark bereits 1986 gegründet worden. Da sollte man meinen, es ist heute um die Natur vor Ort viel besser bestellt. Doch das einzige was sich jetzt besser bestellen lässt, sind die Übernachtungs- und Bespaßungsmöglichkeiten für die Touristen.
Der Homo touristicus ist hart im nehmen. Selbst auf engstem Raume fühlt er sich wohl. Hauptsache die Flagge ist gehisst und der Sichtschutz aufgebaut. Nun kann Muttern den Staubsauger rausholen, Papa schaut auch hier im Nationalpark Wattenmeer ungestört die Sportschau und die Kinder sind mit Drachensteigen beschäftigt.
Was man im Nationalpark Wattenmeer darf und was nicht, ist auch nicht so klar. Das Wort „Ruhezone“ gilt nicht für Menschen, sondern für die Tiere. Betreten ist hier absolut verboten und auch Hunde haben hier vor dem Deich längst nichts mehr zu suchen. Auch angeleint nicht. Daran hält sich nur kaum einer. Wie auch, wenn die Nationalparkverwaltung eine korrekte Beschilderung nicht auf die Kette kriegt, woher soll der Tourist es wissen? 100 Meter weiter steht ein Schild mit korrekten Hinweisen.
Ostfriesland war ja schon immer das Land der Windmühlen. Nur heute ist das irgendwie anders. Im Binnenland, gleich hinter dem Deich, kann der Besucher aus erster Hand erfahren, wie die Energiewende in ein paar Monaten vielleicht auch hinter der eigenen Haustür aussieht. Horrende Strompreise inklusive. „Not in my backyard“ heißt es ja so schön, aber oft denkt man da noch an ein oder zwei Windräder und fragt sich, wie man nur dagegen sein kann. Doch am Nationalpark Wattenmeer gibt man sich fortschrittlich und zeigt schon heute, wie die Zukunft aussieht.
Wer jetzt vergeblich zum Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer gereist ist um unberührte Natur zu sehen, kann sich zumindest im Nationalparkhaus in Dornumersiel kostenlos über die Tier- und Pflanzenwelt informieren. Das vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) betriebene Haus wurde kürzlich dank einer großzügigen Spende des norwegischen Ölkonzerns Statoil renoviert. Das erklärt auch die Beschilderung mit einem Stück Ölpipeline vor dem Eingang. Detail am Rande: In den 90er Jahren kämpfte der BUND noch vehement gegen die hier angelandete Ölpipeline „Europipe“, heute wird damit geworben.
Ganz ehrlich? Dieser Nationalpark ist ein Witz. Wie kann es sein, dass dieses Stück verhunzte Landschaft auf einer Stufe steht mit UNESCO Weltnaturerben wie der Serengeti, dem Mount-Kenya-Nationalpark, den Victoria Fällen oder dem Yellowstone Nationalpark?
Update:
Gerade wird mir noch dieses Foto zugespielt. Im ostfriesischen Norden, genauer gesagt in der Ostermarsch, setzt man auf den QR-Code Hype und möchte Urlauber am Deich mit einem „Krimispiel“ zum Mitmachen anregen. WTF!? Wenn schon QR-Code, dann hätte man doch besser die Chance nutzen können, den Urlaubern an dieser Stelle all die Tierwelt auf das Smartphone zu zaubern, die man hier vor einigen Jahren noch in Natura hätte sehen können.
Frei nach dem Motto: „Scannen Sie jetzt den QR-Code und sehen Sie auf ihrem Smartphone, was früher mal gewesen ist.“
Jetzt weiß ich, warum im Wort „Weltnaturerbe“ das Wort „Erbe“ steckt. Weil wir die Überbleibsel von dem geerbt haben, was hier einst lebte und nun ausgestorben ist. Prost Mahlzeit!